Warum halten noch so viele Hundehalter und -trainer noch so starr an der alten Dominanztheorie fest?

Hallo zusammen,

sehr häufig lese ich hier zu Fragen bei Problemen mit dem Hund die Antwort, dass die Rangordnung wohl das Problem sei. Dass der Halter seinem Hund zeigen muss, wo sein Platz ist und dass er selbst der Alpha ist.
Als Training wird vorgeschlagen, dem Hund erst mal alle Privilegien zu streichen, vor ihm zu essen, ihm gar sein Futter weg zu nehmen, jegliche Verteidigungshaltung für Ressourcen zu verbieten, als erstes durch die Tür zu gehen und so weiter und so fort.
Alles Elemente der alten Dominanztheorie.

Aber wissen all diese Leute denn nicht, wo die Dominanztheorie seinen Ursprung hat?

Da ich davon ausgehe, dass die Antwort nein ist, möchte ich das hier kurz noch mal ausführen:
Die Dominanz-Theorie wurde Anfang des 20. Jahrhundert vom Norweger Schjelderup-Ebbe begründet. Und zwar auf Grundlage von Beobachtungen der Hackordnung bei Hühnern. Hier läuft es genau so ab. Ein Hund steht ganz oben und hackt nach unten. Die darunter werden von oben gehackt und hacken nach unten weiter. Bis zum letzten Huhn, das von allen gehackt wird, selbst aber niemanden hackt, weil niemand mehr nach ihm kommt.
Man nahm schließlich einfach nur an, dass dieses soziale Konzept auf alle Tiere übertragbar sei. Damals gab es noch keine großartigen Freilandforschungen an wild lebenden Caniden. Soziale Hierarchien wurden stets als etwas steifes und unveränderliches hingenommen.
Erst in den 60er Jahren hat die amerikanische Biologin Thelma Rowell diese Betrachtungsweise in Frage gestellt und öffentlich kritisiert. Erst hier begann man zu erkennen, dass Rangordnung nichts Starres und Statisches ist, sondern veränderlich und dynamisch.
Allerdings war die strenge Dominanzordnung der Tiere bereits in den Köpfen der Hundehalter und -trainier fest verankert. Keine wollte zugeben, falsche Informationen unkritisch einfach aufgenommen zu haben.
Dabei hat der Biologe Adolph Murie 1944 einen Rapport über die Wölfe am Mount McKinley geschrieben, dass sie untereinander sehr liebevoll waren und dass er nicht viele Gelegenheiten beobachten konnte, die eine feste Rangordnung zeigten. Tatsächlich beobachten Wolfsforscher sehr lange und intensiv, bevor sie sicher sagen können, wie die Rangordnung wohl aussieht.

Keinen Mensch scheint es kritisch zu stimmen, dass Hundemütter ihre Welpen nachgiebig und liebevoll erziehen. Dass sogar Omegatiere einmal zugeteilte Anteile an der Beute sogar gegen Alpha verteidigen dürfen. Dass auch rangniedere Tiere das Rudel vor Gefahr durch Gebell warnen. Dass auch rangniedere Tiere schon mal das Rudel zur Jagd führt oder durch Gelände, wo es besser zurecht kommt. In Rudeln wild lebender Caniden hat jedes Tier, das bei bestimmten Dingen Vorteile hat oder besser ist, die Gelegenheit das Rudel mal zu führen und dennoch nicht Alpha zu werden (das eine hört besser als andere, reagiert schneller, hat direktere Auffassungsgabe, bessere Augen, bessere Nase, ist schneller oder sonst was). Auch werden alte oder kranke Rudelmitglieder nicht ausgeschlossen. Es gibt Beobachtungen, bei denen Rudelmitglieder gefüttert werden.
Günther Bloch schreibt in seinem Buch Yukon und Co, dass ein Mitglied des Rudels verletzt wurde (glaub Autounfall oder angeschossen – weiß nicht mehr). Jedenfalls wurde der Wolf eine ganze Zeit lang nicht gesehen. Statt dessen beobachtete Bloch, dass die Alphawölfin immer an der Höhle blieb und Alpharüde mit Rest des Rudels reichlich Nahrung herbei schaffte, obwohl keine Welpen da waren. Eine Zeit lang später tauchte der verletzte Rüde wieder auf und nahm seine Rolle im Rudel wieder wahr. Sie haben ihn also gesund gepflegt und genährt.
Eine weitere Beobachtung in einem Rudel genannt das Druid-Rudel in einem amerikanischen Nationalpark (gelesen im Buch von Patricia B. McConnell): eine Alphawölfin, die sogar unter den Forschern als der fieseste Wolf bezeichnet wurde, den sie je gesehen hatten. Die Rudelmitglieder lebten in ständiger Angst vor Übergriffen ihrerseits. Sie wurde schnell zornig und schlug einfach alle nieder.
Irgendwann wurde die Wölfin (ich erinnere: Alpha!) von sechs rangniederen Tieren angegriffen und so schwer verletzt, dass sie einen Tag später starb. Ihre Schwester übernahm die Rolle der Alphawölfin. Sie selbst war das komplette Gegenteil ihrer Schwester. Liebevoll, ruhig und nachgiebig.

Also ich frage mich, wenn solche Beobachtungen schon bestätigen, dass soziale Verbindungen unter Caniden nicht von Gewalt und Zwang geprägt sind und nicht von ständiger Bestätigung der Alpharolle und der autoritären Stellung eines Tieres oder eines Paares, wieso glaubt der Mensch dann seinen Hund so erziehen zu müssen und damit dauerhaft Erfolg zu haben?
@Veronica..
ist dein gutes Recht solch eine Meinung über mein Wissen zu haben. Das liegt sicher daran, dass ich fast immer und überall irgendwelche Literatur kenne, die ich gerne empfehle.

Falls es dich interessiert, kann ich dir sagen, dass dem nicht so ist. Ich habe zwar „erst“ seit sechs Jahren Hunde. Befasse mich aber intensiv mit ihnen und ihrem Training. Auch habe ich intensive Kontakte zu zwei Hundetrainerinnen. Des weiteren viele weitere Kontakte auf privater Ebene mit anderen Hundehaltern.
Ich habe mit meinen Ratschlägen, die ich mir teilweise auf theoretischer und teilweise auf der Basis der Praxis aneignete, schon einigen geholfen mit einem Problem mit ihren Hunden fertig zu werden.

Also theoretische Kenntnisse sollten nicht unterschätzt werden.
Man kann von Ethologen und Kynologen nur lernen.
@Mali
so ist es. Und genau hier liegt die Gefahr. Viele Fachbücher verweisen gerne noch auf Beobachtungen an Wölfen. Besonders der Fall, bei dem behauptet wird, dass kranke und alte oder verletzte Tiere vom Rudel ausgeschlossen werden. Solche Beobachtungen gibt es an Wölfen sicherlich. Allerdings wird gerne überlesen, dass es sich hier um Beobachtungen an gefangen lebenden Wölfen gibt.
Es gibt sehr große Unterschiede zwischen frei lebenden und in Tierparks lebenden Wölfen.

Frei lebende Wolfsrudel bestehen häufig aus Familienverbänden. Der größte Teil der vorkommenden Rudel besteht aus den Elterntiere als Alphas und ihrer Nachkommen. Meist ein- bis zweijährige, selten älter mit unter einjährigen Jungtieren.
@Rottweil…
ich möchte nur kurz hinzufügen, dass ich zwar der Meinung bin, die alte Dominanztheorie wäre in der heutigen Hundeerziehung total fehl am Platz. Aber ich habe nie behauptet, dass Hunde antiautoritär erzogen werden sollten!
Antiautoritäre Erziehung ohne jegliche Strafe und Tadel ist das andere Extrem, das in der Hundeerziehung total fehl am Platz ist.
Des weiteren muss die Erziehung an den Hund angepasst werden.

Wogegen ich spreche ist in erster Linie, dass hier bei YC bei Problemen mit Hunden sehr oft immer pauschal die Antwort kommt, die Rangordnung wäre nicht klar. Nicht selten wird Gewalt angewendet. Gewalt bedeutet nicht immer Schläge. Gewalt ist auch das Tier zu ignorieren, ihm Zwang anzutun. Ihn mit körperlicher Gewalt zu züchtigen – hier nicht schlagen, sondern auch häufig wird empfohlen am Nacken packen und schütteln und ähnliches. Oder auch verbale Gewalt durch laut werden.
Ich schere nicht alle über einen Kamm, sondern rede von hier üblichen Antworten.

Tags:
Enjoyed this video?
"No Thanks. Please Close This Box!"